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Ein Schnipsel aus dem Lesetip: Giorgio Manganelli - Manganelli furioso.

Vom Essen in Gesellschaft

Die Auswahl der Tischgenossen - eine schwierige Kunst; denn jede Mahlzeit ist ja kannibalisch: außer den Speisen auf dem runden Teller verzehren, probieren, lecken und schmecken wir auch unsere Tischgenossen, wenn wir sie nicht sogar gierig auffressen. Ein falscher Tischgenosse, der sich nicht probieren läßt oder sich, einmal probiert, als zäh, fad und tiefgekühlt herausstellt, kann ein erlesenes und fein ausgedachtes Abendessen verderben. Fingerspitzengefühl ist von Nöten, da es ja ein erstes Mal geben muß; sobald man sich jedoch einen schmalen und genauen Katalog zusammengestellt hat, halte man sich daran, achte jedoch darauf, daß ein Tischgenosse sich nicht gerade in einer Lebenslage befinde, die ihn ungeeignet macht; er sollte beispielsweise nicht gerade hoffnungslos verliebt sein oder erst seit kurzem Liebeswonnen genießen oder als Sammler gerade ein seltenes Stück aufgestöbert haben; auf jeden Fall auszuschließen sind: Amateurfotografen, die gerade von einer Reise zurück sind, Neubekehrte jedweder Religion, eine Woche alte politische Militanten, Theosophen und gedungene Mörder. Eine gute Gesellschaft darf vernünftigerweise nicht aus mehr als sechs bis acht Personen bestehen, es sollten sich unter den Anwesenden jedoch weder siamesische Zwillinge noch ein Medium befinden, das den Raum auf unbehagliche Art füllen könnte. Zum Lachen ist das Gastmahl - an Pascoli gemahnend oder pseudogriechisch; abscheulich aber ist es, im Stehen zu essen, denn dabei kommt es zu einem brutalen Durcheinander zufälliger Weine, Gesellschaft, Stimmengewirr und tiefste Gedanken wechseln ständig. Was ein Prediger des 14. Jahrhunderts »karnevalische Freß- und Saufgelage« nannte, sollte man auf jeden Fall meiden; auch den Lärm im allgemeinen, denn er paßt zu Volksaufständen und öffentlichen Hinrichtungen, schickt sich aber nicht als Begleitung für eine schüchterne, bräutliche Bechamelsoße oder für den zwar abgebrochenen, aber noch immer himmlischen Flug einer Drossel. Wohl schmecken kann auch ein intimes Abendessen, eine Winzigkeit für Ihn und Sie, zwei Leckermäuler, Komplizen und Verbündete, aber keinesfalls gefräßig, gierig oder unersättlich, sondern zärtlich probierbereit, denn es versteht sich von selbst, ein solches Abendessen ist pure Menschenfresserei, und das einzige Gericht ist das Gegenüber. Das Schlemmgelage ist archaisch und wird nur noch im Kino gezeigt von bezahlten Schmierenspielern, die man vorher in speziellen Käfigen fasten läßt; die Orgie gehört zum Wirtschaftswunder, zum kaiserlichen Rom, zu Nabuchodonosor und den Malern des 19. Jahrhunderts; sollte man vor die Wahl gestellt werden, ist ein karges Abendessen vorzuziehen, denn es kann trotzdem ein wohl kalkuliertes und raffiniertes Unterfangen voll gelassener Freude sein.

(Seite 9f)

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