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Ein Schnipsel aus dem Lesetip: Jennings - George. Autobiographie eines Engels

 

Im Baby-Himmel 

"Flügel bekommt ihr erst", sagte unser Vater zu mir und weiteren Baby-Engeln im himmlischen Kindergarten, der abseits vom eigentlichen Himmel gelegen ist, "wenn ihr erfolgreich eine Lehre durchlaufen habt. Aus diesem Grund werden uns einige von euch verlassen und aus dem Fleisch irdischer Mütter und Väter geboren werden. Damit das, was ihr seid, Boten des Himmels nämlich, sich in menschlicher Gestalt offenbart. Ihr werdet weiterhin Engel sein, in eurem Erscheinungsbild jedoch Menschen gleichen."

Ein Baby-Engel, der mein Freund war, vertraute mir überglücklich an: "Meine Erden-Eltern erwarten mich bereits. Ich kann hören, wie sie Pläne schmieden. Pat, so heißt meine Mom, hat gesagt, wenn ich ein Mädchen werde, soll ich den Namen Heide-Marie erhalten. Und Dad sagt, wenn ich ein junge werde, möchte er mich Jalil Damon nennen. Das bedeutet ‚großer Freund‘, sagt Dad."

Und Plopp! war der Baby-Engel abgetaucht, noch ehe ich Gelegenheit hatte, ihm zu sagen, daß mir beide Namen gefallen. Nicht weiter tragisch. Vielleicht sehen wir uns ja auf der Erde wieder. Wenn nicht, dann eben, wenn wir beide im Himmel zurück sind.

Unsere Körper sind noch nicht gezeugt worden. Vater erzählt uns - und dabei lächelt er vor sich hin -, daß wir vorläufig noch ein Funkeln in den Augen unserer Väter sind, was immer das bedeutet. Abwarten, sagt Vater.

Ein Schutzengel, der im Baby-Himmel aufpaßt, hat gesagt, ich würde ein Unfall sein. Als ich den Engel fragte, was ein Unfall ist, gebot ihm Vater zu schweigen, und zu mir meinte er, daß einige Engel schrecklich vorlaut wären.

Ich freue mich natürlich wahnsinnig, daß meine Lehrzeit auf der Erde stattfindet, obwohl ich dem Himmel nachtrauern werde. Trauern ist etwas, das mir ein anderer Schutzengel erklärt hat: ein Gefühl. Wie mir der Engel erzählte, hatte er seine Lehre auf der Erde absolviert, und als menschliches Wesen würde man es immer wieder mit allerlei Gefühlen zu tun bekommen. "Als Mensch sind dir zwar nur sieben Bahnen des Erdenmondes beschieden, dafür aber ist die Spanne deines menschlichen Lebens um so kostbarer und mitentscheidend für das Leben vieler..."Vater war dazwischengefahren.

"Ich allein zähle die Tage des Menschen, mein Kind", hatte er den Engel zurechtgewiesen, worauf dieser wie die abtauchende Sonne errötet und entschwunden war.

Daraufhin sagte Vater zu mir: "Menschliches Leben, mein kleiner Engel, wird nicht nach der Mondbahn bemessen; es wird vielmehr bestimmt durch die Kraft der menschlichen Liebe und göttliche Vorsehung."

Liebe, das verstand ich - Vater ist Liebe. Kraft? Vaters Lächeln war mir Antwort genug. Ich fragte ihn nach diesen Mondbahnen, aber er tat die Worte des Engels als törichtes Geschwätz ab. "Dummes Zeug, mit dem sie auch mich hier oben behelligen", schmunzelte er nachsichtig. "Durch ihr Leben als Mensch nehmen meine Sendboten Gewohnheiten an, die ihnen häufig nur schwer wieder auszutreiben sind."

"Werde ich nach dem Ende meiner Lehre auch mit solchen Gewohnheiten zurückkehren, Vater?"

Vater berührte mich, und ich erglühte. "Nein, mein Kind. Ich habe den Menschen mit vielerlei Gaben ausgestattet. Leider neigt er in jüngster Zeit dazu, sich von seinem Verstand in die Irre führen zu lassen, anstatt auf die Stimme seines Herzens zu hören. Deshalb habe ich dich auserwählt, den Menschen daran zu erinnern, daß alle Kraft einzig und allein aus dem Herzen kommt.

Mich! Ein Engel mit Sonderauftrag. "Ich werde deinem Wunsch entsprechen, Vater."

"Der Augenblick ist nahe, Kind." Vater erteilte mir noch ein paar letzte Anweisungen.

Das Plopp! kitzelte. Aha, das also ist Dunkelheit.

Kuschelig.

Mutter fühlt sich gut an. He, gefällt mir, Mensch zu werden.

 

Sechs Monate später - Erster Tag

 

Was für ein Erlebnis! Ich kann bereits deutlich Stimmen unterscheiden. Bin ich jetzt sozusagen auf der Welt?

"Sie haben einen süßen kleinen Jungen, Sharon."

"Ist er gesund, Doktor?" Klingt ein bißchen ungewohnt, aber keine Frage, das ist Mutter.

Ein Junge bin ich? Dann bin ich jetzt wohl tatsächlich ein Mensch.

"Winzig ist er, Sharon. Sobald wir ihn saubergemacht haben, kommt er zum Aufwärmen in einen Brutkasten. Keine Angst, wir kümmern uns nach besten Kräften um ihn. Hazel, abtupfen und wiegen."

Eigenartig, das alles. Keineswegs das, worauf man mich vorbereitet hat. Irgendwas stimmt da nicht. Vater hat gesagt, Menschenbabies schreien bei der Geburt. Warum schreie ich nicht? Weil ich ein Engel bin und Engel nicht schreien? Ich wünschte, ich wäre noch in Mutter drin, Sie reden viel, wovon ich nichts verstehe.

"Knapp über eineinhalb Pfund, Doktor!" Eine weibliche Stimme.

"Wir legen ihn in einen Inkubator, Sharon." Wieder die Stimme, die ich als erste deutlich gehört habe, "Und dann heißt’s abwarten, wie sich die Dinge entwickeln."

"Darf ich ihn mal halten, Doktor?" Mutter.

"Natürlich, Sharon. Hier, nehmen Sie ihn ein Weilchen. Wissen Sie schon, wie er heißen soll?" Der Mann, den Mutter ‘Doktor’ nennt.

"George."

Ich spüre Mutter. Nur, daß sich das diesmal anders anfühlt. "Du wirst die Berührung deiner Mutter erkennen", hat Vater gesagt. "Du bist das Fleisch deiner Mutter und deines Vaters auf Erden. Du bist der Geist von mir, deinem himmlischen Vater." Jetzt, da Mutter mir ganz nah ist, geht es mir besser.

Und schon wieder ist Schluß damit, dafür spüre ich ein Schaukeln, fast so wie damals, als Mutter mich in sich trug, doch irgendwie anders.

"Besteht Hoffnung für ihn, Doktor?" Eine Frauenstimme.

"Hoffnung immer, Maggie. Schließen wir ihn an Sauerstoff an und verfolgen seine Atemtätigkeit. Unterdessen setze ich mich mit der Klinik für Frühgeburten in Verbindung, damit die ihn abholen ..., falls er so lange durchhält "George, hm?" Die Stimme, die zu Maggie hört. "Na, du kleiner Mann, warum nicht George? Würde dir das gefallen?"

Ich bin mir nicht ganz sicher, was big bedeutet, klingt aber durchaus passabel."

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